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August
1997 - Fulda- und Weserradweg
sehet die Blinden... |
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Plötzlich stehe ich vor der Situation, 14 Tage - also 2 ganze Wochen - Fahrradreise planen zu dürfen. Es ist wirklich wahr, ich kann es gar nicht glauben! Anfangs weiß ich nicht so recht, wohin ich denn nun fahren will, denn Auswahl gibt es zuhauf: die Romantische Straße, den Burgenradweg, den Rhein oder die Donau entlang? Doch auf einmal ruft das Meer! Gibt es nicht einen Radweg an der Weser entlang? Von Hannoversch Münden bis Bremerhaven? Der ist aber “nur” 440 km lang, viel zu kurz für 2 Wochen Ferien. Vielleicht könnte man früher beginnen, in Fulda, denn das Fuldatal soll auch sehr schön sein. Auf einmal steht die Planung und die Anreise von Zürich aus gestaltet sich auch denkbar einfach: Bei strömenden Regen radeln wir am Freitagnachmittag
zum Zürcher Bahnhof. Wir haben noch etwas Zeit und gönnen uns am Bahnhof
noch einen Kaffee, bis unser Zug nach Basel bereitsteht. Es folgt, wie
üblich: Räder in den Gepäckwagen, Sitzplatz suchen, die Landschaft draußen
betrachten! In einer Stunde sind wir in Basel, wo wir in einen Schnellzug
umsteigen, der nach Frankfurt, Fulda, sogar weiter bis Wismar und Stralsund
fährt. Während wir das Rheintal nach Norden fahren, erscheint noch kurz
die Sonne, eine freundliche Geste, die uns eine wunderbare Abendstimmung
beschert. Es ist schon dunkel, als wir die Skyline von Frankfurt sehen.
Kurz vor Mitternacht treffen wir in Fulda ein, wo wir im Hotel “Peterchens
Mondfahrt” ein Zimmer reserviert haben. Der Hotelbesitzer selbst öffnet
uns zu so später Stunde noch die Pforte und wir dürfen die Velos im Vorraum
abstellen. In Schlitz finden wir dann den Supermarkt
und können unseren Vorrat auffüllen. Anstatt einen kleinen Abstecher zur
Burg zu machen, fahren wir gleich weiter. Immerhin gönnen wir uns ein
Picknick auf einer Wiese, was eine Gruppe biertrinkender Männer auf einem
Pferdewagen recht komisch finden, als sie an uns vorbeikutschieren. Aber
das beruht auf Gegenseitigkeit, denn uns wiederum erscheint dieser feucht-fröhliche
Männerverein recht sonderbar. Als wir weiterfahren, unterqueren wir ein
paar mal die ICE-Trasse, strampeln im engen, gewundenden Flußtal entlang
oder gleiten durch kleine Fachwerkdörfchen. Die Fulda ist hier ein kleines Flüßchen,
noch unbegradigt und mit Bauernorchideen zugewachsen, was Margrit sehr
gut gefällt. Von Bad Hersfeld sehen wir nur die Pizzeria, in der wir einkehren,
und eine große Strassenkreuzung! Jetzt werden wir mit der lauten Bundesstraße
konfrontiert, neben der wir ein Weilchen herfahren müssen. Das Donnern
der LKWs schmälert natürlich den Spaß ganz beträchtlich! Kurz vor Rotenburg
an der Fulda fängt es hartnäckiger zu nieseln an, aus diesem Grunde suchen
wir uns hier ein Zimmer, schließlich sind wir heute lang genug unterwegs
gewesen. Und morgen ist auch wieder ein Tag! Als wir uns der Stadt nähern, merken wir schon, daß da etwas nicht so ganz stimmen kann: immer mehr Fussgänger sind auf dem Radweg an der Fuldaaue unterwegs, Autos parken überall kreuz und quer, Polizisten regeln den Verkehr. Immer mühsamer wird das Vorwärtskommen, schließlich müssen wir absteigen und schieben. Es ist hier zweifellos ein großes Fest im Gange. Überall Imbiß- und Getränkestände, auf dem Fluß fahren geschmückte Boote, Blasmusik ist zu hören. Zuerst nehmen wir’s ganz lustig auf, denken, daß der Spuk bald ein Ende haben wird, doch immer dichter wird das Gedränge und bald liegen unsere Nerven blank. Als wir uns an einem Getränkestand mit Flüssigkeit versorgen, werden wir angeschnauzt, weil wir unsere Räder ungünstig abgestellt haben. Als wir das Gelände dann schließlich verlassen haben, reicht es mir, die Dokumenta kann mir jetzt gestohlen bleiben, ich will nur weg von den ganzen Leuten. Margrit hätte sowieso nur wegen mir die Messe besucht, also ist sie mit der Weiterfahrt einverstanden. Allerdings ist es schon später Nachmittag geworden, eigentlich Zeit für die Zimmersuche, denn wir sind wegen dem vorherigen Spektakel recht genervt. Doch es will sich keine Übernachtungsmöglichkeit auftun. An diesem Punkt haben wir leider kein Auge
für die landschaftlichen Schönheiten, dabei gibt sich die Fulda doch so
große Mühe: gar lieblich zieht sie ihre Schleifen durch das Waldland,
der Weg läßt sich so bequem und immer in Flußnähe befahren! Doch müde
ist müde, bei jedem Dorf ohne Gasthaus wächst die Enttäuschung. Dann kommt
es doch so, daß wir bis nach Hannoversch Münden weitermüssen, wo am Schluß
der Tagesetappe noch eine saftige Steigung auf uns wartet. Naja, man gönnt
sich ja sonst nichts... Aber beim Genießen unseres wohlverdienten
Feierabends macht sich dann doch Zufriedenheit auf unseren Gesichtern
breit. Im Treppenhaus unseres Hotels wirbt ein Plakat für die Sehenswürdigkeiten
dieser Region. Es ist von der Weserrenaissance und der Deutschen Märchenstraße
die Rede, vom Rattenfänger von Hameln und den Bremer Stadtmusikanten... Später am Nachmittag setzen wir mit
einer kleinen Fähre über den Fluß und finden ein Zimmer in dem kleinen
Ort Wehrden. Da gibt es eine Gaststätte direkt am Ufer der Weser mit Blick
auf Schloß Fürstenberg. So eine Gelegenheit lassen wir uns dann doch nicht
entgehen, so sieht man uns den ganzen Abend bei Schnitzel, Salat und Radler
- das hier schon Alsterwasser heißt - den Sommer (inklusive Sonnenuntergang)
genießen. Heute machen wir uns auch mit einem anderen Phänomen vertraut, das uns die nächsten Tage begleiten wird: dem Gegenwind. Recht munter bläst es uns entgegen, jedoch folgen wir dem mäandrierendem Fluß und haben oft mehr Seiten- als Gegenwind. Heute scheint mir der heißeste Tag zu sein, mir ist so richtig schwindlig, als wir Hameln erreichen. Ja ja, der liebe Kreislauf! Hameln ist ein Kleinod, zudem natürlich
sehr touristisch, dazu trägt der Rattenfänger bei, es ist auch noch teuer,
das stellen wir bei der Zimmersuche fest. Aber heute ist das mal egal,
wir wählen nicht das billigste, sondern das angenehmste Zimmer. Wir gehen
noch Kaffeetrinken in die Fußgängerzone, aber ich fühle mich heute wirklich
nicht wohl, so daß ich mich bald aufs Zimmer begebe und Margrit alleine
einen Streifzug durch die Stadt unternehmen lasse. Bevor der Fluß wieder nach Norden in
seine ursprüngliche Fließrichtung umbiegt, gilt es für uns einen anstrengenden
Anstieg - zum guten Glück im Wald - hinter uns zu bringen. Danach nähern
wir uns der Porta Westfalica, ein markanter Einschnitt im Wesergebirge,
der den Fluß nach Norden entläßt. Aber so dramatisch ist das nun auch
wieder nicht, durch diese Schneise verlaufen nämlich die von Menschenhand
geschaffenen Verkehrswege, da bleibt von einem Naturschauspiel recht wenig
übrig. Gleich hinter der Porta Westfalica finden wir in Minden ein Hotel
, das uns leidlich zusagt. Donnerstag, 7. August - Minden bis
Nienburg (74 km) Doch je flacher die Landschaft, desto schmucker die Orte, möchte man meinen. In Nienburg essen wir nachmittags unser wohlverdientes Eis. Dort machen wir Pläne für die anstehende Zimmersuche. Eine Ortschaft in der Nähe heißt "Drakenburg" und dieser Name gefällt uns. Doch dort finden wir nicht was wir suchen, außerdem hält das Ortsbild nicht was der Name verspricht! Im Niendorfer Stadtteil Holtorf finden wir dagegen was Passendes. Zu erwähnen gibt es noch, daß mein blaues Schauff heute seinen ersten Schaden ge- nommen hat: nachdem ich ein Schlagloch übersehen hatte, schliffen die Bremsen am Hinterrad und nach erster Untersuchung und Diagnose bemerkte ich einen Achter und einen Riß im Mantel. Was tun mitten in der Pampa? Ich hängte die Hinterbremse aus und fuhr einfach weiter, was Besseres fiel mir im Moment nicht ein oder übersteigerte meine mechanisch-technische Vorstellungskraft...
Als wir Verden an der Aller erreichen,
bin ich schlecht gelaunt und in mich gekehrt, das
Aber die zwei Fahrradläden, an denen wir vorbeikommen,
haben schon geschlossen! Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Reifen
mit Klebeband zu bandagieren -eine absolut professionelle Reparatur -
und zu hoffen, daß ich noch bis Montag weiterfahren kann. Die ganz Sache
kostet natürlich Nerven, die langweilige Landschaft kommt auch noch dazu,
deswegen strample ich mißmutig und mechanisch vor mich hin, nicht ahnend,
daß der Tag noch eine weitere Herausforderung mit sich bringen wird: es
gilt nämlich, den Fluß Hunte zu überqueren. Der ausgeschilderte Radweg
führt wieder mal über eine Eisenbahn- brücke, gar nicht mal so hoch, aber
der Radweg ist nicht einmal einen Meter breit, der Boden besteht aus Gitterrost
und von einer Brüstung sehe ich hier so gut wiegar nichts! Was ist zu
tun, wenn der Martin wieder mal vor lauter Höhenangst in Panik ausbricht?
Umkehren und einen anderen Weg suchen! Nach kurzer Beruhigungsphase kehren
wir um und suchen auf der Landkarte eine Alternativ-Strecke. Margrit nimmt
das alles recht locker, bemerkt jedoch, daß es für heute eigentlich genug
ist. Ich kann da nur zustimmen und das Glück meint es gut mit uns, denn
wir finden nach ein paar Minuten einen Gasthof direkt am Fluß Hunte gelegen,
mit einem großen Garten, einem Bootssteg, auf dem liegend wir den Sonnenuntergang
und erleben, und einem freien, erschwinglichen Doppelzimmer. Außerdem
führt nebenan eine breite Autobrücke über den Fluß...
Als unsere Brotzeit beendet ist und wir wieder allein mit uns sind, kommen wir auf die glorreiche Idee, schon jetzt, am frühen Nachmittag, ein Zimmer vorzubestellen. Und wirklich: die meisten Unterkünfte sind belegt! Nachdem ich meine halbe Telefonkarte vertelefoniert habe, finden wir was in Tossens, einem Küstenort am Jadebusen, wohl 30 km von hier. Während wir von der Weser nach Westen abweichen und diese Distanz noch in der Nachmittagshitze hinter uns bringen, sehe ich vor meinem inneren Auge Bilder von azurblauem Wasser, gelben Dünen und feinem Sand, gestreiften Strandkörben und heiser schreienden Seevögeln... Aber - man ahnt es schon - Fantasie und Realität klaffen oft weit auseinander! Wir sind in einer neu angelegten Touristengemeinde gelandet, mit Restaurants, einem Campingplatz, Ferienwohnungen, etc. Das wäre ja nicht so schlimm, aber das Meer und der Zugang dazu, entspricht gar nicht dem, was ich mir so ausgemalt habe: Es gibt keinen Sandstrand nur Betonplatten, die den Schlick eindämmen sollen, das Wasser riecht brackig und am Horizont sieht man die Kräne der Wilhelmshavener Hafenanlagen. Trotzdem sind wir erstmal froh für heute untergekommen zu sein. Wir haben die Unterkunft für zwei Nächte gebucht,
die wieder vom schon beschriebenen Stechmückenproblem geprägt sind. Am
nächsten Tag kommen wir überein, unsere noch verbleibenden Urlaubstage
hier in Tossens zu verbringen. Erstens sind wir in 9 Tagen rund 680 km
gefahren ohne einen Ruhetag einzulegen, dann traue ich meinem Fahrrad
nicht mehr über den Weg und außerdem könnten wir hier oben ja Tagesausflüge
machen. Das tun wir dann auch. Einmal radeln wir nach Burhave, besichtigen dort ein Gezeitenmuseum, ein anderes Mal fahren wir abends zum Naturschutzgebiet "Norddeutsches Wattenmeer" und genießen den Chor der See- und Strandvögel. Wir wechseln noch einmal die Unterkunft, diesmal bekommen wir eine kühle, mückenfreie Bleibe, bis wir schließlich die Rückreise organisieren müssen. Wir wollen die Räder von hier aus nach Zürich
zurückschicken, selber aber nach München Als wir abends in Bremerhaven spazierengehen, haben wir das erste Mal das Gefühl, an der Nordsee zu sein: das Wetter hat nämlich umgeschlagen und ein frischer Wind trägt die salzige Luft zu uns herüber - sowas nenne ich Meeresluft und -duft! Morgens um 7.30 fährt der Zug in Bremerhaven ab, wir kreuzen ein paar Mal in wahnwitzigem Tempo das Fuldatal auf Brücken, die wir vor kurzer Zeit von unten betrachten durften. Um die Mittagszeit sind wir in München - so schnell kann das gehen!
Als wir wieder nach Zürich kommen, stehen unsere beiden Räder zuverlässig bei der Gepäckaufbewahrung, lediglich ein paar ganz kleine Schrammen sind zu erkennen. Als ich mein Fahrrad zwecks Behebung des Achters in die Werkstatt gebe, stellt sich heraus, daß am Hinterrad ein Speiche gebrochen ist. Der Mechaniker führt das auf meinen wackeligen Gepäckträger zurück, der vollbepackt hin und herschlenkert wie ein Kuhschwanz. Und was macht der Martin? Er besorgt sich sogleich einen stabilen Gepäckträger... |
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