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Der diesjährige Frühsommer zieht ins Land
und nach unserem furiosen Velo-Auftakt zu Ostern – die Tour mit meiner
Schwester Andrea und ihrem Lebenspartner Peter den Regen entlang – unternehmen
wir nur wenige Tagestouren, nur von Zürich aus, um den Greifensee nach
Rapperswil, die Südroute von Zürich nach Rapperswil und einmal von Stein
am Rhein nach Eglisau. In München gewöhne ich mich langsam an die Eigenarten
meines neuen Utopia-Fahrrades und fahre meine Feierabendrouten an der
Isar entlang. Doch unser Augenmerk liegt momentan woanders: wir heiraten
im August und die Vorbereitungen des Hochzeitstages verdrängen alles andere
in den Hintergrund.
Wie es sich gehört folgen auf die Hochzeitsfeier auch die Flitterwochen
und glücklicherweise hat Margrit nichts dagegen einzuwenden, als ich mit
den Planungen für eine erneute Fahrradreise beginne. Ich bin in Oberviechtach,
einer Kleinstadt in Nordostbayern nahe der Grenze zu Tschechien aufgewachsen
und da dort auch die Hochzeitsfeier stattfindet, läge ein Beginn der Radreise
in Oberviechtach irgendwie auf der Hand. Ausserdem nimmt ein Jugendtraum
wieder Gestalt an, nämlich solange gen Westen zu reisen, bis man an die
französische Atlantikküste, vorzugsweise in der Bretagne trifft. Heutzutage
will ich sowas natürlich mit dem Velo machen. Was liegen da nicht alles
für Velorouten auf der Strecke! Die Naab bis Regensburg; die Donau bis
zum Schwarzwald; den Rhein bis nach Basel; den Doubs durchs Franche-Comte;
die Loire bis an den Atlantik…Ideen über mögliche Routen sind en masse
vorhanden, fehlen tut jedoch die Zeit für dieses Projekt. Also teilen
wir die Strecke in mehrere Urlaubsreisen auf! Soweit steht das Grundkonzept.
Ein paar Tage vor der Hochzeit ziehe
ich mir dummerweise eine Zerrung im rechten Oberschenkel zu und hinke
auf meiner eigenen Hochzeit, tanze mir während dieser rauschenden Nacht
auch noch richtig das Bein kaputt und kann am nächsten Tag fast gar nicht
auftreten. Damit ist die Reise natürlich in Frage gestellt und ich dementsprechend
frustriert, schliesslich ist die durch Margrits Sturz arg verkürzte Radreise
vom letzten Sommer noch allzu präsent. Aus diesem Grunde lasse ich mich
dann überreden und mich von einem Notarzt behandeln, der mir zwei Spritzen
in „den Platz der Republik" verpasst, was mir Linderung verschafft und
den Heilungsprozess in Gang setzt. Um schon mal ein wenig Urlaubsstimmung
zu bekommen, bauen wir unser Zelt im Garten meiner Eltern auf und verbringen
die Nacht zum Montag darin. Zwei Tage verbringen wir nun im Oberviechtacher
Schwimmbad, verarbeiten unser Hochzeitsfest und beschliessen, am Mittwoch
die grosse Reise zu wagen.
Diese erste Tagestour soll uns von Oberviechtach
bis zum Fluss Naab bringen. Meine Eltern werden uns diesen Tag mit den
Räder bis zu einem Landgasthof, den ich von meiner letztjährigen Tour
kenne, begleiten und tags darauf wieder zurück radeln. Wir „satteln unsere
Hühner", machen noch ein paar Fotos vor der elterlichen Garage und brechen
bei moderaten Temperaturen auf. Nachdem im Supermarkt noch Proviant erstanden
worden ist, rollen wir langsam aus dem Ort. Die Oberviechtacher Einwohner
schütteln wohl die Köpfe über die fahrradverrückte Familie Würfl, die
mit vollbepackten Rädern wieder mal in unbekannte Weiten unterwegs ist.
Die Ausfallstrasse nach Niedermurach wird bald schmäler und bei leichtem
Gefälle – fast drei „geschenkten Kilometern" – führen uns diese ersten
Minuten das Tal des Siechenbaches entlang, der Talboden üppig grüne Wiesen,
der mäandrierende Bach mit Weiden gesäumt. Dann die ersten Steigungen,
ein Test für mein Bein, das sich wacker hält und für mein Rad, das vollbepackt
eine gute Figur abgibt, obwohl es trotz des ultraleichten Bergganges nicht
das kletterfreundlichste ist.
Als wir das Schwarzachtal erreicht haben,
hat die Sonne die Oberhand gewonnen und kaum ein Wölkchen zeigt sich noch
am Himmel. Dem wird mit einer Korrektur der Kleidung Rechnung getragen
und bald haben wir den ersten offiziell ausgewiesenen Fernradweg dieser
Reise, den Schwarzachtal-Radweg erreicht. Von hier bis zum Naabtal-Radweg,
unserem Zubringer zur Donau, ist es nur mehr ein Katzensprung. Schliesslich
ist die Naab erreicht, wir schwenken nach Süden ab und handeln uns damit
neben einem wunderbar flachem Radlrevier auch massig Gegenwind ein. Langsam
wird der Wunsch nach einer Pause laut und dem wird in Schwarzenfeld nachgegangen.

Während Margrit, mein Vater und ich bananenessend und kauend den Fluss
und das Schwarzenfelder Stadtpanorama betrachten, wird meine Mutter in
ein Gespräch mit einer einheimischen Frau verwickelt, das sich nur mit
Mühe beenden lässt. Aber wir haben nur mehr eine halbe Stunde Fahrt bis
Schwandorf, auf dessen neu renovierten Marktplatz wir uns eine längere
Pause in einem Strassencafé gönnen. Es ist nicht mehr weit bis zum Etappenziel,
ruhig geht‘s im weiten Naabtal dahin. Das weithin sichtbare Bayerkraftwerk
muss in Kauf genommen werden, ein paar hundert Meter sehr holpriger Feldweg,
um eine Steigung zu umgehen (ein Geheimtip meiner Eltern), schon sind
wir in Bubach angekommen und bekommen auf der Terasse ein Radler serviert.
Sowas freut den Radler.
Das Fenster unseres Hotelzimmers zeigt
nach Osten, man sieht die weite Ebene des Naabtales vor sich. Ein orangeroter
Mond geht auf, als wir zu Bett gehen. Die Nacht im Hotelzimmer entpuppt
sich als typisch: Fenster zu – stickige Luft; Fenster auf – Stechmückenüberfall.
Wir entscheiden uns für beides, lassen zuerst das Fenster offen und die
Mücken herein, anschliessend, nach einer Ernüchterungsphase im Halbschlaf
schliessen wir hektisch dasselbe, haben die Stecher aber schon im Zimmer
und die Stiche schon gespürt und können dafür kaum mehr atmen…Ich führe
das jetzt nur deswegen so aus, weil uns während der paar Hotel-Übernachtungen
dieser Reise immer die selbe Situation begegnet ist. Am Morgen entschädigt
uns aber der Blick aus dem Fenster, wir denken spontan an eine afrikanische
Savannenlandschaft, mit dem Dunst und der Ebene und den vereinzelten Bäumen.
Frohgemut werden nach dem Frühstück die Drahtesel bepackt und der Kurs
nach Süden wird abgesteckt.
Meine Eltern fahren noch ein paar Kilometer mit, bevor wir uns verabschieden
und auf uns alleine gestellt sind: jetzt erst beginnen unsere Flitterwochen.
Und wie! Traumhaftes Wetter, schöne Landschaft, in der Ferne winken blaue
Weiten, wenn ich nicht unterwegs sein dürfte würde ich Fernweh bekommen!
Allmählich wird das Flusstal enger, die Erhebungen des Oberpfälzer Jura
treten näher heran und kurz vor Kallmünz dann eine wunderbare Landschaft
mit Kalkfelsen, Wacholderheide, jagenden Falken und würzigen Düften.

Kallmünz, Kandinsky und Gabriele Münter habe ich ja in vorhergehenden
Reiseberichten schon abgehandelt, der Ort selber erscheint auch im Vormittagslicht
idyllisch und wir pausieren auf der Naabbrücke ein Weilchen und lassen
das Panorama auf uns wirken. Bald ändert sich das Landschaftsbild, das
Tal wird recht eng und der Weg führt bald durch kühlen Waldschatten, bald
über staubig-heisse Feldwege entlang, so dass die Gartenwirtschaft in
Etterzhausen ein willkommener Platz für eine Mittagspause ist.

Zur Donau ist es nun nicht mehr weit, bis
dahin träumen wir noch in der milden, ruhigen Flusslandschaft vor uns
hin. Dann die Einmündung in den grossen Fluss, die Stadt Regensburg grüsst
aus der Ferne herüber und wir suchen uns flussaufwärts unseren Weg. Die
Donau ist nun unsere Begleiterin, der Donauradweg unsere Route.

Wir treffen jetzt häufiger auf Radreisende, meist in der entgegengesetzten
Richtung nach Passau oder Wien unterwegs. Uns kümmert das nicht, wir denken
allmählich an das Etappenende, suchen uns einen Campingplatz kurz vor
Kelheim – Kapfenberg heisst der Ort – und bauen gemütlich unser Zelt auf.
Mit Proviant sind wir noch nicht so gut versorgt, deswegen nehmen wir
das Angebot einer Gaststätte an der Donau in Anspruch, schauen den Wasserskifahrern
auf der Donau zu und kommen noch rechtzeitig vor Einbruch des Gewitters
nach Hause, dass sich schon seit einiger Zeit ankündigt.
Mit dem Gewitter kommt heftiger Regen,
das Zelt wird am Morgen nass verpackt. Mit nur zwei Tassen Kaffee im Bauch
rollen wir die 12 km bis Kehlheim und erstehen in einer Metzgerei erstmal
ein paar Wurstsemmeln, die sogleich verzehrt werden. Als wir durch die
Altstadt zur Schiffsanlegestelle an der Donau fahren, fängt es wieder
zu regnen an – das sind ja schöne Aussichten, denke ich so vor mich hin.
Das Donauschiff steht bereit uns durch die Weltenburger Enge zu bringen,
wir können sofort einchecken und es uns bei einer Tasse Kaffee im Fahrgastraum
bequem machen. Bei der anschliessenden Schifffahrt hält es uns aber nicht
im Inneren, wir stehen mit unseren Regenklamotten im Freien und geniessen
die Flusslandschaft, die durch den Regen eine ungeahnte Sinnlichkeit erfährt.
Auf einmal entdecken wir das erste Wolkenloch mit blauem Himmel dahinter
und bald nach der Ankunft in Weltenburg hört es zu regnen auf.

Es folgt eine schöne Fahrt bei trockenem Wetter
durch die Hopfenfelder der angrenzenden Holledau. Wenn man diese sanft-wellige
Landschaft sieht, möchte man gar nicht glauben, dass ein paar Kilometer
weiter dieses Naturspektakel des Donaudurchbruchs stattfindet. In Neustadt
a. d. Donau gibt‘s eine kleine Brotzeitpause und auf der anschliessenden
Fahrt bis Vohburg regnet es uns nochmal ein. Aber Regenfahrten – in Massen
genossen – haben für mich auch einen besonderen Reiz. Als wir uns auf
dem Donaudamm befinden und damit schon auf der Zielgeraden unserer heutigen
Etappe, kommt die Sonne nun endgültig durch. Links und rechts des Dammes
Biotope und Urwaldlandschaften mit vielen Wasservögeln, Bauernorchideen
und Froschkonzerten…
Wir erreichen den Campingplatz Auwaldsee kurz
vor Ingolstadt, der, in einem Waldstück gelegen, eine unangenehme Ausstrahlung
hat. Das liegt wohl an den vielen Dauercampern, von denen man generell
misstrauisch betrachtet wird und den wenigen sanitären Einrichtungen,
die auch nicht recht gepflegt sind. Immerhin lernen wir ein paar andere
Radreisende kennen, ein österreichisches Paar, die donauabwärts bis Wien
unterwegs sind und eine belgische Familie, die schon seit April mit Kind
und Kegel und den Räder durch Europa reist. Ausserdem gibt es einen Badesee,
was den Campingplatz wieder aufwertet und es bleibt die Nacht über trocken,
was dem Zelt zugute kommt.
Morgens um 8.30 sind wir heute schon
unterwegs in die Ingolstädter Innenstadt. Dort gibt es nochmal ein zweites
Frühstück und dann geht‘s hinaus in die Felder und Fluren. Die Gegend
um Ingolstadt wird mir als besonders waldreich in Erinnerung bleiben,
denn auch westlich der Stadt breiten sich die Auwälder entlang der Donau
aus. Nach Neuburg an der Donau müssen wir uns mit den Ausläufern der Fränkischen
Alb auseinandersetzen, was uns ein paar mässige Steigungen beschert und
die ein oder anderen Schweisstropfen mit sich bringt. Doch es gibt dadurch
auch schöne Aussichten über die Landschaft, die in der heissen Sommersonne
vor uns ausgebreitet liegt.


Die Sommertemperaturen tragen zur allgemeinen
Erschöpfung bei als wir am späten Nachmittag Donauwörth erreichen und
feststellen, dass der Campingplatz 8 km ausserhalb irgendwo im Lechfeld
liegt und meine Landkarte nicht so weit reicht… Nachdem ich das verdaut
habe fragen wir uns einfach durch und erreichen einen wunderschönen Campingplatz
mit einem Badesee, mit sauberen sanitären Einrichtungen, einem kleinen
Laden und einer Zeltwiese mit kurzgeschnittenem Rasen. Angesichts unserer
Müdigkeit, der Sommerhitze und der dem Badesee beschliessen wir, den Sonntag
noch hier zu verbringen und einen Tag Pause zu machen.
Der Sonntag entpuppt sich dann als Hochsommertag
pur: wir liegen den ganzen Tag am Badesee und entspannen uns. Als die
Nacht herein bricht, beobachten wir das Erscheinen der Sterne, als die
Himmelsbläue in Schwarz übergeht. Um 2.00 morgens kommt trifft jedoch
die angekündigte Kaltfront in Donauwörth ein und entlädt sich in Form
eines heftigen Gewitters. Am Morgen können wir zwar noch unsere Ausrüstung
einpacken, danach fängt es aber zu regnen an worauf wir unser Frühstück
in der Campingplatz-Gaststätte einnehmen. Wir beschliessen trotz der Witterung
aufzubrechen und legen unsere Regenkleidung an. Nach ein paar Minuten
Fahrt zeigt sich ein blauer Fleck am westlichen Himmel, es wird langsam
trocken – was will man mehr? Während wir uns durch eine Baustelle hindurch
den Weg zurück zum Donauradweg ertasten, bricht die Sonne durch die Wolkendecke.
Wir radeln durch das Donauried, flachem Ackerland, die Luft ist klar und
würzig. Da es landschaftlich keine Abwechslung gibt sind wir froh, als
wir durch die Städtchen Dillingen und Lauingen kommen, Pause machen und
ein Eis essen können. Erst kurz vor Günzburg, unserem heutigen Etappenziel,
ändert sich die Landschaft und wird hügeliger, was wir trotz der nun zu
erklimmenden Höhenmeter als positiv erachten, einfach weil es eine Abwechslung
ist und wir den ein oder anderen Blick aus mässiger Höhe über die Donau
erhaschen. Leider sind wir jetzt gezwungen, zwei Nächte lang in Hotels
zu übernachten, es gibt nämlich eine zeitlang keine Campingplätze auf
unserer Route. In Günzburg finden wir eine Bleibe direkt in der Altstadt,
freuen uns darüber abends noch ein bisschen durch die Strassen zu flanieren
und wieder etwas Zivilisation geniessen zu können.

In der Nacht hat es wieder geregnet,
aber pünktlich zum Frühstück trocknet es ab und die Sonne saugt die Feuchtigkeit
auf. Es ist kühl geworden, wir fahren deswegen mit langen Hosen und Socken
in den Schuhen. Wieder tauchen wir heute in eine Auwaldlandschaft ein.
Herrlich geheimnisvoll muten uns diese sonnendurchfluteten, lichten Wälder
an, es duftet würzig, man hört Froschgequake und Vögelgezwitscher. Passagenweise
ist es ganz still, nicht mal die Zivilisationsgeräusche – Autoverkehr
oder Fluglärm – dringen zu uns durch. Wie muss es wohl zu einer Zeit gewesen
sein, als der Mensch noch keine Kraftfahrzeuge kannte, kein Motorenlärm
die Erde verseuchte? Solche Gedanken kommen einem, wenn man sich aus der
Stille der Wälder einem Ballungszentrum, in unserem Falle Ulm, nähert.
Autobahn, Fernstrassen, kleinere Strassen, Eisenbahnlinien, Luftverkehr:
man kann unserer Zivilisation nur für kurze Zeit entgehen…

Trotzdem gelangen wir auf angenehmen Wegen
nach Ulm hinein, zweigen von der Radroute ab um der Altstadt mit dem Dom
einen Besuch abzustatten. Es gibt die erste Kaffeepause im Schatten des
Ulmer Münsters. Dann eine Weile auf Uferwegen der schmäler gewordenen
Donau entlang, bevor es wieder hinaus auf die Wiesen und Felder geht.
In Erbach verschwenden wir Zeit und Kraft, als wir den Ort von vorne bis
hinten nach einem Biergarten oder einer Gartenwirtschaft absuchen. Bevor
aus der Enttäuschung eine seelische Krise wird finden wir dann doch noch
am Ortsausgang eine Gaststätte um den Mittagshunger zu stillen und im
folgenden ist die Welt dann auch wieder in Ordnung.
Ab diesem Zeitpunkt geht es gut gelaunt und
in Donaunähe mal über Felder, mal durch Naturschutzgebiete, aber immer
flach dahin. Links und rechts des Flusses sieht man jetzt aber allmählich
die Hügel der Schwäbischen Alb langsam näher rücken, die Landschaft wird
interessanter und bietet mehr für‘s Auge. Wir erreichen mit unserem Etappenziel
Munderkingen ein kleines verträumtes Städtchen, ein Abendspaziergang rundet
den Tag noch ab, bevor wir uns in unser Hotel verziehen.
Eine wunderbare Fahrt in die Morgenbläue.
Hügelige Landschaft, immer wieder mal Kirchen oder Klöster in der Ferne.
Die Auwälder bleiben nun zurück, die Donau fliesst in einem etwas engeren
Tal, nur ein Streifen Weiden zeigt den Lauf des Flusses an. Riedlingen
lockt mit seiner historischen Altstadt mit Fachwerkhäusern. Wir sitzen
in der engen Fussgängerzone in einem Strassencafé und beobachten die Lieferwagen,
die sich durch die schmalen Gassen an Tischen, Stühlen, Verkaufsständen
vorbeiquälen.
Es folgt eine rasante Fahrt mit Rückenwind
den Talboden entlang über asphaltierte Wirtschaftswege. Da fühlt man sich
auf einmal wie ein Segelschiff vor dem Wind, es rollt sich so mit 23-25
Stundenkilometern dahin, der schwerste Gang tritt sich wunderbar leicht
und man weiss gar nicht so recht, wie einem geschieht, doch auf einmal
sind wir schon in Mengen angelangt.

Dort führt die Bundesstrasse leider mitten
durch das Städtchen, eine ruhige Fussgängerzone ist hier nur ein frommer
Wunsch, wir essen also ein, übrigens fabelhaft schmeckendes, Eis direkt
neben dem vielbefahrenen Verkehrsweg. Nun ist es nicht mehr weit bis Sigmaringen,
unserem heutigen Ziel. Die Landschaft ändert sich die paar Kilometer aber
noch: auf einmal wird das Donautal recht eng, ein Weitblick auf entfernte
Höhenzüge ist nicht mehr möglich. Dafür werden wir in Sigmaringen mit
dem Hohenzollernschloss belohnt, dass auch den Ausblick vom Campingplatz
dominiert. Früh am Nachmittag bauen wir heute unser Zelt schon auf, betreiben
etwas Materialpflege, reinigen unsere Ausrüstung und die Räder. Morgen
steht eine anstrengende Tagestour an.
Diese Nacht gab es sehr viel Tau, das
Zelt ist nass wie nach einem Wolkenbruch, doch die Sonne lacht vom Himmel:
es verspricht ein heisser Tag zu werden. Langsam wird das Tal noch enger,
es wird von Felsen so eingeengt, dass nur mehr Platz für die Eisenbahn
und ein paar Wirtschaftswege bleibt. Vom Donaudurchbruch in Weltenburg
einmal abgesehen, ist das hier für uns der schönste Abschnitt der bisherigen
Reise. Aber auch der anstrengenste: die Naturstrasse am Talrand klettert
immer wieder mal einige Höhenmeter hinan und wenn diese Steigungen auch
nicht lange andauern, ermüden sie uns doch im Zusammenspiel mit der brütenden
Mittagshitze. Es bleiben idyllische Augenblicke im Gedächtnis: steil aus
dem Wasser ragende Felsklippen, Burgen über schwindelerregenden Abgründen,
ein ruhig seinen Windungen folgender Fluss. Von den Brücken aus kann man
recht grosse Fische (Forellen?) im Wasser patroullieren sehen (uns macht
das Appetit…).

Kurz vor Tuttlingen weitet sich das Tal wieder,
wir müssen noch eine Entscheidung treffen. Es gilt, das Donautal zu verlassen
und einen Weg zum Rheintal zu finden. Wie wir es auch drehen und wenden,
ohne Steigungen lässt sich das nicht bewerkstelligen. Die Frage dreht
sich darum, ob wir heute noch die 25 km bis Engen, wo es den nächsten
Campingplatz gibt, auf uns nehmen, oder ob wir hier in Tuttlingen ein
Zimmer suchen. Die Lagebesprechung findet in einem Strassencafé in der
Tuttlinger Innenstadt statt. Wir entscheiden uns, heute noch nach Engen
aufzubrechen und klinken uns deswegen kurzfristig in den „Hohenzollern-Radweg"
ein. Es gilt den Höhenzug „Die Egg" zu überwinden, das heisst wir fahren
und schieben das Rad ein paar Kilometer steil bergauf. Man möchte es nicht
glauben, irgendwann sind wir wirklich oben und auf einmal tut sich ein
wunderbarer Panoramablick über die Vulkanlandschaft des Hegau vor uns
auf und entschädigt uns für die soeben geleistet Arbeit. Margrit entlockt
es: „das schönste Panorama Europas".


Wir staunen und fotografieren und füllen uns
auf wundersamste beschenkt und belohnt. Die verbleibenden 15 km nach Engen
geht es nur mehr bergab, eine angenehm zu fahrende Zielgerade, auch wenn
wir mit mehr Verkehr konfrontiert werden. Der Engener Campingplatz liegt
schön und ist vergleichsweise luxuriös ausgestattet, wir feiern den Tag
mit unserer obligatorischen Flasche Rotwein vor dem Zelt liegend und versuchen
uns die Sternbilder zu erklären…Auch hier ist der Platz fest in holländischer
Hand, unsere Nachbarn aus dem Beneluxland scheinen sich in Deutschland
wirklich wohl zu fühlen. Ich kann das mittlerweile gut nachvollziehen,
den bei schönem Sommerwetter kann man es bei uns wirklich geniessen -
wenn auf das Wetter halt mehr Verlass wäre.
Engen hält was der Campingplatz verspricht,
wir rollen durch ein nett renoviertes Landstädtchen. Nun geht‘s also durch
den Hegau, diese Vulkanlandschaft, die ich mir schon länger als Radlrevier
auserkoren habe. Die Sonne meint es gut mit uns, als wir entlang einer
Bundesstrasse nach Singen rollen. Kurz vor Singen dann eine schöne Passage
am Flüsschen Aach entlang, dann die Stadt selber, die uns nichts gibt,
lediglich für eine Kaffeepause taugt. Schon sind wir nach Süden – zum
Rhein hin – unterwegs, fahren zum ersten Mal bei Ramsen über die Schweizer
Grenze und haben den Hegau schon fast hinter uns gelassen, es bleibt der
Eindruck eines dicht besiedelten und von vielen Verkehrsadern durchzogenen
Ballungsraumes. Kurz nach Stein am Rhein treffen wir auf den Rhein und
folgen nun einer unserer Hausstrecken, freuen uns auf ein Eis in Diessenhofen.
Dort sitzen wir zuerst recht lange in „unserem" Biergarten am Rhein und
stellen Betrachtung hinsichtlich der verschiedenen Charaktere der Flüsse
an: der Rhein erscheint uns hier kindlich-verspielt, im Gegensatz zur
Donau, die uns schwermütig vorkam. Die Naab war die Sinnlich-Idyllische.

Mit der Absicht, Lebensmittel für‘s Abendessen
einzukaufen, besuchen wir noch die Diessenhofener Innenstadt, treten jedoch
zuvor in eine „Konsumfalle" und erstehen in einem Fahrradladen „Funktionskleidung".
Anschliessend probieren wir die linksrheinische Variante des Rheinradweges
aus, handeln uns damit einige Kilometer auf einem ruppigen Waldweg ein
und erreichen dann einen angenehmen Campingplatz kurz vor Schaffhausen
mit einer Liegewiese und einer Badeanstalt direkt am Rhein. Wenn einem
soviel Schönes wird beschert…

Auch heute radlen wir durch hinreichend
bekanntes Gebiet. Der Schaffhausener Stadtverkehr ist wie immer kein reines
Vergnügen, wir beschliessen, den Rheinfall weiträumig zu umfahren, folgen
einer regionalen Radroute, die uns direkt nach Jestetten führt. Durch
die Dörfer Lotstetten, Rafz und Hüntwangen hindurch erreichen wir bei
Hohentengen wieder den Rhein, folgen dem Fluss auf wohlbekannten Pfaden
bis kurz nach Zurzach, wo wir – auf Empfehlung – einen Campingplatz kurz
vor Waldshut aussuchen, der jedoch nur eine mittelmässige Note bekommt.
Wir schlagen unser Zelt unter Obstbäumen und zwischen Fallobst auf. In
der Nacht fängt es zu regnen an, sodass wir wieder einen Pausetag einlegen
und uns tagsüber die Zeit so gut es geht vertreiben.

Heute soll das Wetter wieder besser werden
und wirklich ist es am Morgen trocken, es hängen lediglich Nebelfetzen
in den bewaldeten Hügeln. Also, auf geht‘s, trotz nüchternem Magen! Das
nasse Zelt und die inzwischen etwas klammen und muffigen Klamotten verstauen
sich schon fast wie von alleine… Zuerst rechtsrheinisch nach Waldshut.
Bald radeln wir neben der vielbefahrenen Landstrasse und werden erstmal
mit dem LKW-Verkehr konfrontiert. Als wir bei Waldshut über die Rheinbrücke
fahren wird es auch nicht besser: auf dieser Seite rollt der Schwerverkehr
ebenfalls in Richtung Basel oder nach Konstanz. Wenigsten finden wir einem
Kiosk um ein spartanisches, verspätetes Frühstück zu uns nehmen zu können.
Danach erreichen wir bald die Aare-Mündung und folgen nun dem schweizer
Fluss nach Süden. Die Sonne vertreibt die Wolken wieder, es ist aber recht
kühl und es will einfach nicht so rund laufen, wie wir‘s gewohnt sind.
Bis Brugg haben wir einige Steigungen zu überwinden, biegen mal falsch
ab und verfahren uns, haben Gegenwind und die Landschaft gefällt uns wegen
der Industrialisierung des Aaretales nicht so recht, auf jeden Fall ist
unsere Laune auf dem Tiefpunkt angekommen, als wir in Brugg endlich in
einer Pizzeria sitzen und mal durchatmen und resümieren können. Mit gefülltem
Bauch lässt es sich dann doch besser radeln, jedenfalls bessert sich im
Folgenden unsere Stimmung, die Landschaft wird schöner, die Streckenführung
besser.

In Aarau gibt‘s nochmal eine kurze Pause,
wir reservieren uns ein Zimmer für die Nacht in Aarburg vor, in Olten
kaufen wir noch Lebensmittel ein, schliesslich treffen wir am späten Nachmittag
in Aarburg ein und beziehen Quartier. Die Aare erscheint mir als der müde,
resignierte Fluss. Die Wasser scheinen von ihrem anstrengenden Weg durch
das Gebirge ermüdet zu sein und sich gar nicht mehr gegen die Knechtung
durch den Menschen wehren zu wollen, ja sogar froh zu sein, als sie sich
in den Rhein ergiessen können. Wir jedenfalls sind auch etwas erschöpft,
erkunden aber das Städtchen noch mit einem Abendspaziergang, nach dem
wir unser Zelt im Hotelzimmer zum Trocknen aufgehängt haben.

Heute meint es das Wetter ebenfalls
wieder gut mit uns, die Sonne begleitet uns auf unserem Weg nach Süden,
aber heute will ebenfalls nicht so recht Stimmung aufkommen. Wir stellen
fest, dass wir nur mehr unterwegs sind, um „Strecke zu machen". Wir sind
durch die vielen Impressionen der letzten Tage so übersättigt, dass wir
gar nicht mehr aufnahmefähig für all die neuen Eindrücke sind. Nach einigen
Überlegungen beschliessen wir, die Radreise in Solothurn zu beenden und
noch einige ruhige Tage in Zürich zu verbringen. Im übrigen scheint es
morgen sowieso zu regnen und so kommen wir wenigstens trocken zuhause
an. Gesagt, getan! Die Strecke bis Solothurn wartet dafür noch mit allerhand
Naturschönheiten auf: Wälder und Wiesen des schweizer Mittellandes, kleine
fachwerkbunte Städtchen, Dörfer mit ehrwürdigen, alten Bauernhäusern,
immer die Bergkette des Juras am rechten Horizont. Als wir Solothurn erreichen,
dann noch ein Aha-Erlebnis: die Atmosphäre der Stadt mutet uns südländisch,
mediterran an, es ist, als ob wir einen Kulturkreis hinter uns gelassen
und soeben die Tür zu einem neuen geöffnet hätten!

Ist das nicht ein schönes Ende einer Reise
und gleichzeitig auch eine Möglichkeit der Weiterführung? Wir sind froh
um unsere Entscheidung, die Reise hier zu beenden und sitzen schon bald
im Zug nach Zürich. In nicht mal eineinhalb Stunden sind wir dort angekommen
und schon stellt sich dieses typische Vakuum ein, wenn eine ereignisreiche
Reise zu Ende ist und man noch im Bann der ganzen Eindrücke steht….
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