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Man mag sich daran erinnern dass wir letztes
Jahr Ostern mit unseren Freunden Edith und Grischa eine erste Veloreise
unternahmen - eine Spritztour ins Elsass, kulinarischer und kultureller
Genuss gleichermassen. Noch während der kalten Jahreszeit entsteht
die Idee, auch dieses Jahr das Osterwochenende gemeinsam für einen
Veloausflug zu nutzen. Anfangs erscheint uns die Poebene in Italien als
ideales Reiseziel, da wir aber nur 4 Tage zur Verfügung haben und
zudem wohl die ganze Welt Richtung Süden unterwegs sein wird, entscheiden
wir uns für die Gegenrichtung: nach Norden ins Baden-Württembergische
soll es gehen, eine Reise den Neckar entlang. Heidelberg soll das Ziel
dieser Reise sein, wir rechnen die Kilometer die wir fahren wollen zurück
und unterm Strich dieser Mathematik-Aufgabe kommt Bietigheim als Startpunkt
heraus...
Leider ist es nicht mehr möglich
die Velos im ICE von Zürich nach Stuttgart mitzunehmen. Der Deutschen
Bahn war es wohl zu unrentabel und das Pilotprojekt wurde in dieser Saison
wieder eingestellt. Deswegen bleibt uns nichts anderes übrig als
ein paar Mal umzusteigen bis wir Bietigheim erreichen: Winterthur ->
Schaffhausen -> Singen -> Stuttgart -> Bietigheim...endlich sind
wir etwa um ein Uhr vor Ort. Nach kurzer Orientierungszeit rollen wir
auf einer Ausfallstrasse dem Neckar entgegen. Die Sonne scheint und die
Temperaturen wären eigentlich recht angenehm, aber ein kühler
und starker Ostwind lässt mich frösteln. Trotzdem sieht man
Sonnenbadende in Badekleidung auf einer Sandbank liegen: die haben sich
ein windstilles Plätzchen gesucht. Eine Schautafel am Rande eines
Naturschutzgebietes erklärt uns die drastische Veränderung des
Flussbettes während der periodisch wiederkehrenden Hochwasser, mich
bedrückt jedoch eher die drastische Veränderung der Landschaft
durch den Eingriff des Menschen: Starkstromleitungen, Industrieanlagen,
Kraftwerke im trauten Nebeneinander mit Weinbergen, weidengesäumten
Ufern und der Blühte der Obstbäume. Gerade die steilen Terrassen
der Weinberge erscheinen jetzt in ihrer Kahlheit sehr skurril, eine sonderbare
Bauklötzchen-Landschaft.
Nachdem wir uns einige Höhenmeter auf das Niveau der Weinberge hinaufgeschraubt
haben lockt uns eine Rastplatz unter einem vollerblühten Obstbaum
zu einem Picknick. Langsam nähern wir uns dem Fachwerkstädtchen
Besigheim. Es herrscht ein geschäftiges Treiben in den Altstadtgassen,
wir schieben unsere Räder an Strassencafés und Restaurants,
Läden mit schmucken Auslagen und umher spazierenden Touristen vorbei.
Unten am Fluss ein Kraftwerk, eine Kiesgrube und Schrebergärten mit
Hobbygärtnern, die sich just an diesem Ausblick erfreuen. Ein Eis
gibt es dann in Kirchheim, wo eine moderne Plastik uns und unserer Leistungsgesellschaft
den Spiegel vorhält.

Ein kleines Weilchen später erscheint das Städtchen Lauffen
am Horizont: der Rest einer Stadtmauer und darüber die eigenartige
Silhouette eines modernen Bauwerkes, alles auf einem Hügel über
dem Fluss erbaut. Wir erklimmen auch hier steile Altstadtgassen und finden
in diesem Bauwerk die - zugegebenermassen - geschickt verkleideten Silos
eines Zementwerkes wieder. Nun, ob dieser Entdeckung muss man dann doch
erstmal eine Pause im Vorgarten einer kleinen Wirtschaft machen. Wir nutzen
den Aufenthalt in Lauffen, auch um in Heilbronn im Hotel Urbanus Zimmer
zu reservieren.
Die letzten Kilometer dieses Tages führen uns durch eine recht idyllische
Passage. Wir radeln entlang einer schichtweise aufgebauten Felswand aus
Tuff, gekrönt von einem Wäldchen, linkerhand säumen Auwälder
die Ufer. Ein Temperatursturz lässt uns nochmals die warmen Sachen
anziehen, bevor wir die Vororte Heilbronns erreichen. Zufälligerweise
führt uns die Einfahrtsstrasse auch direkt an unser Hotel heran.
Abends essen wir auf Empfehlung in einem gut bürgerlichen Restaurant
und werden mit Speisen und Weinen der Gegend verwöhnt.
Der morgendliche Blick aus dem Fenster
ist ernüchternd: tief ziehende Wolken, niedrige Temperaturen, der
Wetterbericht spricht von "gefühlten 6 Grad". Ungemütlich,wenn
man aus dem warmen Frühstücksraum in die Kälte soll. Trocken
ist es ja, da können wir uns nicht beschweren, also los. Wir benötigen
noch Proviant da die Lebensmittelgeschäfte über Ostern geschlossen
haben. Heilbronns Fussgängerzone birst aus allen Nähten während
wir uns auf die Suche nach einem Lebensmittelgeschäft machen und
die Räder durch die Masse der Einkaufenden und Bummelnden stossen.
Leider ist die Stadt nicht gerade ein architektonisches Highlight, sie
wurde im zweiten Weltkrieg zu 80% zerbombt und es stehen nur mehr wenige
ältere Bauwerke wie einzelne Zähne in einem ansonsten zahnlosen
Mund. Auch die Bevölkerung macht irgendwie keinen recht glücklichen
Eindruck. Vielleicht ist's ja auch nur der düstere Himmel.
Naja, jedenfalls sind wir bald wieder auf Strecke und pedalieren durch
ein weites, stark industrialisiertes Tal. Heilbronn ist natürlich
ein wichtiger Umschlagplatz und ein grosser Hafen und so begleiten uns
Ladekräne und Containerterminals, Frachtkähne und natürlich
wieder Stromleitungen: die Kulisse einer modernen Inszenierung eben. Die
Türme der Bad Wimpfener Kaiserpfalz erscheinen am Horizont und schlagen
eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit. Diesmal will
ich mich nicht unten vorbeischleichen wie letztes Jahr! Steil geht es
hinauf in die Altstadt, doch die Anstrengung lohnt sich: Bad Wimpfen ist
ein Kleinod! Nicht ganz so touristisch wie Rothenburg ob der Tauber und
natürlich auch kleiner, aber mit demselben Fachwerkcharme: der Blaue
Turm, Reste der Kaiserpfalz, viel grobes Kopfsteinpflaster, die ganze
Palette mittelalterlicher Stadtbaukunst eben.Schöner Ausblick auf
der anschliessenden Abfahrt ins Neckartal, das nun allmählich etwas
enger wird. Nun wird es wieder etwas idyllischer und ansatzweise naturbelassener,
die Hornburg grüsst vom anderen Ufer herüber, Schloss Gutenberg
liegt diesseits des Flusses, die bewaldeten Höhen rücken näher
an den Fluss heran. In Neckargerach finden wir gemütliche Unterkunft
in der Eisenbahngaststätte, kulinarisch werden wir mindestens genauso
verwöhnt wie tags zuvor und die Atmosphäre ist viel familiärer.
Ein üppiger Frühstückstisch
wartet auf uns im Frühstücksraum, der gleichzeitig wohl der
Festsaal bzw. das Vereinszimmer der Neckargeracher Flussschiffer- und
Fischervereine ist: allerhand Urkunden und Andenken schmücken die
Wände, Schiffsmodelle hinter Glasvitrinen, Medaillen und alte Schwarzweiss-Aufnahmen
aus besseren Tagen.
Heute Nacht hat es geregnet aber wir starten in einen blauen Morgen, etwas
kühl ist es noch aber das soll sich heute wohl noch ändern.
Leider rollen wir jetzt erstmal an der Bundesstrasse entlang, aber nur
für kurze Zeit, denn schon sehen wir auf einer Anhöhe vor uns
die Burg Zwingenberg trotzen, der wir einen Besuch abzustatten gedenken.
Nachdem wir endlich im zur Burg gehörenden Ort die Zufahrt gefunden
haben, geht es mässig bergauf. Eine Schlossbesichtigung selber ist
nur für Gruppen und auch nur nach Voranmeldung möglich, aber
eine Wanderung zur Wolfsschlucht und zur Lebenseiche - mystische Orte
die Carl Maria von Weber zum Freischütz inspirierten - steht uns
frei. Ich lasse mich aber lieber vom Ausblick ins Flusstal inspirieren
und so lasse ich meine Begleiter alleine die schicksalsschwangeren Plätze
aufsuchen und setze mich lieber auf die Schlossmauer und zeichne. Nachdem
jeder von uns auf individuelle Weise auf seine Kosten gekommen ist, rollen
wir wieder ins Tal und zur Fähre, denn auf der anderen Flussseite
führt der Weg fernab vom Autoverkehr. Der Fährmann verzichtet
auf die Mittagspause und setzt uns sofort über, die Sonne wärmt
inzwischen recht artig und auch ein Plätzchen für ein Picknick
ist bald gefunden...
Nach dieser Stärkung folgen wir dem gewundenem Lauf des Flusses,
mal direkt in Flussnähe auf einem bewaldeten Uferweg, dann wieder
auf halber Höhe durch Weiden oder Streuobst-Wiesen. Eberbach taucht
vor uns auf, es gibt eine Kaffeepause in diesem von Touristen wimmelnden
Ort, aber für eine ausgiebige Besichtigung erscheint er uns nicht
lohnend genug. Hirschhorn dagegen schon eher! Schon auf der Einflugschneise
liegt mit der Ersheimer Kapelle ein gotischer Leckerbissen auf dem Weg.
Das Gestein hat inzwischen von weisslich-gelbem Tuff zu rost-rotem Sandstein
gewechselt und es ist faszinierend welche Symbiose Baustile und verwendete
Baumaterialien manchmal eingehen. Eine Flusswindung weiter und schon hat
man das Panorama des Städtchens Hirschhorn vor sich. Über der
Kaimauer Fachwerkhäuser, weiter oben am Hang ein Kloster und noch
weiter droben dann eine Burgruine. Bis dahin schaffen wir es zwar nicht,
aber als wir den Fluss auf einer Schleuse überquert haben, schieben
wir unsere Räder immerhin bis zu jenem Kloster. Ein schöner
Blick eröffnet sich uns über Altstadtgassen mit Giebeln und
Ziegeldächern und den Neckar und die blauen Wälder in der Ferne...
Die letzten Kilometer dieses Tages verlaufen im recht engen Flusstal,
die Sonne gibt ihr bestes und die Temperaturen steigen auf frühsommerliche
Werte. Wir überqueren bei Neckarsteinach den Neckar auf einer Schleuse
und lassen uns von einem einheimischen Ehepaar eine Übernachtungsmöglichkeit
anempfehlen. Auf der Zielgeraden zum Hotel läuft uns noch ganz ungeniert
eine Ratte über den Weg - und zwar von rechts nach links...ein Omen?
Den Abend verbringen wir direkt am Neckar auf der Terasse eines Restaurants,
dessen Besitzer leider die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann, denn
in einer abgeteilten Nische des grossen Gastzimmers gibt es eine Art Rommel-Altar,
mit einer grossen Fotografie Rommels, einer grossen Landkarte des Afrika-Feldzuges
und anderen Erinnerungsstücken. Beim Anblick dieser stolz gezeigten
Geschichte wird's wohl so manchem Gast gar nicht wohl um's Herz...

Nun denn, der letzte Tag ist angebrochen.
Ein trauter Morgen, windstill und warm. Wir dürfen anfangs noch ein
Weilchen auf ruhigen Wegen das Flusstal geniessen bis wir uns Heidelberg
nähern und damit auch mit dem Radstreifen entlang der Bundesstrasse
vorlieb nehmen müssen. Viel zu schnell sind wir dann da. Erst grüsst
die enorme Schlossruine vom anderen Ufer herüber, dann stehen wir
an der alten steinernen Brücke und machen Fotopause, radeln in die
Heidelberger Altstadt zu einer kurzen Kaffeepause mit Lagebesprechung.
Unser Zug fährt erst nach 16 Uhr, also haben wir noch genügend
Zeit um die Stadt mit den Velos zu erkunden. Auch auf der Rückfahrt
will die Deutsche Bundesbahn uns ein paar Mal umsteigen sehen, bevor wir
abends um 10 Uhr wohlbehalten zuhause ankommen...
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