| Mai
2004 - Mal eben um den Bodensee
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Gleich vorne weg: so ein kühler Frühling
wie dieses Jahr schürt Sehnsucht und Verlangen! Mal wieder ohne Wintermütze
und Handschuhe fahren zu können, kurzärmelig und nicht hundert
Schichten übereinander anziehen zu müssen! Und am besten mehrere
Tage lang unterwegs sein, nicht immer nur zur Arbeit radeln oder kurze
Tagesausflüge unternehmen! Eigentlich stünde ja eine grosse
Radreise kurz bevor - Margrit und ich wollen ab Pfingsten für drei
Wochen Richtung Mittelmeer pedalieren. Aber vorher noch
hm
da
gibt es diesen Christi Himmelfahrtstag mit der Möglichkeit des verlängerten
Wochenendes
warum nicht da schon für eine kurze Tour losziehen,
wie all die Jahre zuvor? Mehr
aus einer Laune heraus habe ich mir am Dienstag schon Übernachtungsmöglichkeiten
am Ende der jeweiligen Tagesetappen reserviert und mit Schrecken festgestellt,
dass vieles schon so gut wie ausgebucht ist. Der Feiertag und das verlängerte
Wochenende und für viele beginnen jetzt wohl auch schon die Pfingstferien:
es ist genau wie letztes Jahr, als ich auf dem Weg von Zürich nach
Würzburg haargenau zur selben Zeit unterwegs war und kaum mehr ein
Zimmer in Lindau bekam. Aber schliesslich geht es halt dann doch noch
mit der Zimmerreservierung voran und ich weiss diesmal schon im voraus,
wo ich mein müdes Haupt jeweils hinbetten werde (es wird sich herausstellen,
dass ich die Etappen dummerweise zu kurz angesetzt habe und noch Lust
und Laune zum Weiterfahren gehabt hätte - das ist der Nachteil, wenn
man auf sicher geht und vorreserviert). Die Strecke von Rafz bis Stein am Rhein kenne
ich in und auswendig, aber ich fahre sie heute das erste Mal seit langem
wieder in dieser - der "umgekehrten" - Richtung. Zudem ist meine
Grundstimmung eine völlig andere, wenn ich mit Gepäck unterwegs
bin und die durchfahrene Gegend Teil einer Reise und nicht bloss ein Tagesausflug
ist. Frühling...oder eigentlich schon Vor-Sommer! Alles steht in
Blüte! Ich fahre unter riesigen Kastanienbäumen hindurch, über
und über mit ihren hellen Kerzen bedeckt, die Rapsfelder sind schon
fast am Verblühen und ihr intensives Gelb schwächt sich schon
ab. Ausflügler sind auf dem Rhein unterwegs und die Badeanstalten
füllen sich. Der Rauch von Grillfeuern und der Duft von Cervelat
oder sonstigem Grillgut steigt mir in die Nase und macht mir Appetit.
Vor Schaffhausen erhasche ich den ein oder anderen Blick auf den Rheinfall
und ein Liegeradler-Kollege kommt mir entgegen. Für Letzteres bin
ich natürlich ganz besonders sensibilisiert!
Heute kann man mich mit Fug und Recht als
faul bezeichnen. Man könnte auch sagen, ich liesse mich treiben oder
aber ich frönte dem Genussradeln in Reinkultur. Jedenfalls: eingedenk
der Tatsache, dass meine Tagesetappe nicht allzu lang sein wird und ich
schon um kurz nach acht Uhr unterwegs bin, lasse ich es extem ruhig angehen.
Ich bremse mich ab, wenn der Tacho 20 kmH zu überschreiten "droht"
und halte oft an, um zu fotografieren oder Skizzen zu machen. Was für
ein Wetterchen aber auch! Diese Morgenbläue! Der See liegt so friedlich
da und die Cirruswolken haben sich wieder aufgelöst. Je mehr der
Tag voranschreitet, desto mehr Ausflügler sind unterwegs, bis es
allmählich zugeht wie auf einer Hauptverkehrsstrasse: Inline-Skater,
Spaziergänger mit und ohne Hund, grosse Gruppen von Radfahrern im
Seniorenalter, die auf dem engen Weg in Zweierreihen fahren und partout
nicht vor sich auf den Weg blicken wollen, ob ihnen nicht vielleicht mal
jemand entgegen kommt; Familien mit Kindern. Dazwischen Rennradler, die
hier unbedingt Tempo machen wollen. Bei fast jeder Radlergruppe, die mir
begegnet, gibt es mindestens eine untersetzte Dame, die mit mir tauschen
möchte und ein Herr meint sogar, dass es fast an Unverschämtheit
grenzt, sich mit so einem "Faulenzervelo" (das sagt er wortwörtlich)
auf die Strasse zu wagen. Nun...äh...ich geb's ja zu, das Radeln
empfinde ich seit diesem Frühjahr wirklich als Hochgenuss und eigentlich
kann mir niemand einen Vorwurf machen, wenn ich nicht mit dem gleichen
gequälten Gesichtsausdruck durch die Gegend laufe bzw. fahre, wie
so mancher mir entgegenkommender Mitmensch... Leider gibt es nur wenig Passagen, an denen
die Route wirklich am See entlang führt, dafür sind diese Streckenabschnitte
dann sehr schön. Ansonsten geht es halt in zweiter Reihe, also gut
hundert Meter landeinwärts versetzt, parallel zum See entlang. Meist
begleiten mich rechts die Gleise einer Bahnlinie, dann wieder führt
der Weg durch Wohnsiedlungen oder an einem Campingplatz vorbei. Bei Romanshorn
zweige ich vom Seeradweg ab und beziehe ein paar Kilometer landeinwärts
im Landgasthof Winzelnberg im Örtchen Steinebrunn Quartier. Auf einer
Anhöhe liegend, bietet der Ort einen wunderbaren Blick über
See und Umland. Dreht man sich um und schaut gen Süden, so begrenzt
das Massiv der Churfirsten den Horizont. Ach ja: heute war wirklich den
ganzen Tag über Sommer pur angesagt! Und ausserdem hab ich einen
Zeppelin gesehen! Heute morgen schaut dagegen alles ganz anders
aus: die Churfirsten, gestern noch von der Abendsonne orangerot verfärbt,
sind heute plötzlich verschwunden. Die Landschaft ist wolkenverhangen
und es regnet. Also doch! Da bricht man dann immer mit gemischten Gefühlen
zur neuen Etappe auf - zuhause würde ich halt einfach "zuhause"
bleiben. Nun gut, nach dem Frühstück rolle ich auf der Hauptstrasse
nach Arbon, wo ich wieder auf den offiziellen Seeradweg treffe. Mittlerweile
hat es zu regnen aufgehört und heute steht das "Regenhose-anziehen-ausziehen-anziehen-ausziehen-Spiel"
auf dem Programm. Immerhin bleibt es auf etwa zwei Dritteln der Strecke
trocken und die tief hängenden Wolken sorgen für eine interessante
Stimmung. Alles ist saftig und grün und trieft vor Nässe. Ich
radle fast ganz für mich alleine durch's Rheindelta, auch die Seepromenaden
in Hard und Bregenz gehören nur mir. Sogar der sonst so belebte Abschnitt
zwischen Bregenz und Lochau liegt leer und verlassen da. Ich nehme es
mit der Ruhe, ich habe einen guten Rhythmus für mich gefunden. Kurz
vor Lindau öffnet der Himmel aber doch noch mal so richtig seine
Schleusen und ich schiebe das Velo im strömenden Regen über
das Kopfsteinpflaster der Lindauer Altstadt, bis ich den Gasthof "Goldenes
Lamm" gefunden habe, meine Bleibe für diese Nacht. Nachmittags
spaziere ich im Regen durch die von Touristen überlaufene Stadt,
die mir jedesmal auf's Neue gefällt. Dabei scheint es mir, als ob
es überproportional viel Geschäfte mit Damenmode für das
gesetztere Alter gibt. Abends lande ich in einer griechischen Taverne
bei Gyros und Retsina, bevor ich nochmals eine Runde um den Hafen laufe.
Die Sonne fasst kommt noch mal für ein paar Minuten durch die Wolkendecke
und zaubert eindrucksvolle Beleuchtung herbei.
Samstag, 22.5.2004. Von Lindau bis
Stein am Rhein (81 km) Jetzt ist sie also endgültig da, die
Kaltfront, die ungeliebte! Kaum über 10 Grad Celsius und es giesst
wie aus Kübeln! Ich trete nach dem Frühstück in voller
Rüstung an und schaue, wie ich mit dem Dauerregen zurecht komme.
Ausserdem ist heute der ultimative "wie-und-wo-werde-ich-auf-dem-Liegerad-nass"-Test.
Es zeigt sich, dass die Regenhose der Schwachpunkt ist und bald bin ich
um die Körpermitte herum durchnässt. Mir fehlt heute eindeutig
der Blick für die Landschaft. Diese ist a) sowieso nicht da, weil
durch tiefhängende Regenwolken versteckt und b) fahre ich die erste
Zeit nur durch Ortschaften und Wohnsiedlungen hindurch. Mal an einem Kloster
vorbei, an einem Sanatorium, an einem Campingplatz. Hier ist Privatgelände,
dort ist aus einem anderen Grund der Zugang zum See untersagt. Der Bodensee
zeigt sich nur sporadisch, wenn ich an den Seepromenaden in Orten wie
Nonnenhorn oder Langenargen vorbeiradle. Anstatt dessen nehme ich einen
dichten Blütenteppich unter den Laubbäumen wahr: beige unter
den Kastanienbäumen, hellgrün unter den Ahornbäumen, woanders
rotbraun oder rosa. Da hat der Regen heute Nacht wohl ganze Arbeit geleistet!
Die Hinweistafeln der Hotels, Pensionen und privaten Zimmervermieter zeigen
rot an, wenn die Betten belegt sind und grün, wenn noch etwas frei
wäre. Um mich von meiner heutigen Motivationskrise und der Durchfeuchtung
abzulenken, überlege ich mir im vorbeirollen, ob ich in den jeweiligen
Etablissements ein Zimmer nehmen würde, falls ich hier Urlaub machen
würde. Dabei mache ich hier gerade Urlaub...
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