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Hier
gibt's den Bericht ohne Fotos als PDF-File (28 KB)
Sie
geistert mir im Kopf herum. Die Mittellandroute, Nummer 5 der
ausgeschilderten Fernradwege durch die Schweiz. Sie führt
von Romanshorn am Bodensee bis nach Lausanne, verbindet den Thurgau
und das Zürcher Oberland mit der Aare und dem Neuenburger
und Bieler See und geleitet den Radler dann bis an den Genfer
See. Den Abschnitt von Lausanne bis Zürich kenne ich schon
von mehreren früheren Touren und bin sie schon in beide Richtungen
abgefahren. Aber der erste Teil, die Strecke von Zürich bis
Romanshorn, die ist mir neu. Das soll sich ändern. So rede
ich schon seit Jahren und immer wieder kam was dazwischen. Jetzt
aber!
Eine
gute Gelegenheit ergibt sich, als Margrit übers Wochenende
zu einem Fortbildungs-Seminar nach Rohrschach reist. Dort, im Tagungshotel,
könnte ich prima übernachten. Zeit habe ich aber nur Samstag
und Sonntag, also einen Tag hinfahren und den anderen Tag zurück,
oder so.
Samstag,
4.6 2005; Zürich bis Rohrschach (105,5 km)
Dumm
gelaufen. Es regnet. Der gestrige Tag war schön und heiß
und am späten Abend kam ein Gewitter auf. Das heißt normalerweise
noch gar nichts. In diesem Fall aber schon, denn es hat anscheinend
die ganze Nacht durchgeregnet, jedenfalls meine ich nachts immer
wieder mal das Prasseln von Regentropfen auf Blättern oder
der Strasse zu hören. Der Natur tut es ja gut und sie dankt
es uns mit saftigem Grün und bunten Blüten. Und mal ganz
ehrlich: wer will schon in einer ausgedörrten Landschaft leben?
Als ich um sechs Uhr morgens aufstehe, regnet es immer noch. Was
tun? Die Wetterfrösche im Internet reden von einzelnen Schauern
und nachmittags soll es Aufhellungen geben. Das klingt schon besser,
zumindestens kein Dauerregen. Ich sende Margrit ein SMS und künde
mein Kommen nun endgültig an. Kaffee. Katzenwäsche. Butterbrote
geschmiert. Zeugs in die Packtasche. Fotoapparat und Tagebuch nicht
vergessen und vor allen Dingen die Regensachen parat legen. Um 7
Uhr bin ich fertig und siehe da: für den Augenblick ist es
trocken. Na siehste!
Bahnhof
Oerlikon, Gewerbegebiet, Ausfallstrasse, alles wie gehabt. Diesmal
nicht zur Glatt wie ein paar Wochen vorher, sondern nach Opfikon.
Dort geht es in der malerischen kleinen Altstadt ein paar Meter
lang so steil bergauf, dass meine Reifen - es sind profillose Slicks
- auf dem nassen Asphalt durchdrehen. Ich seh schon, für den
Touren- und Allwettereinsatz braucht die Speedy mal andere Reifen.
Die erste Kletterpartie an diesem Tag ist trotzdem von Erfolg gekrönt
und irgendwann bin ich oben. Raus aus dem Städtchen und rein
in die Landschaft. Den Kühen hier auf der Weide passt das Wetter
wohl irgendwie auch nicht so recht aber sie finden sich damit ab,
interpretiere ich in die teilnahmslos erscheinenden Gesichter der
Tiere hinein.
Rein
in den Wald. Es ist immer noch trocken. Dietlikon, Bassersdorf.
Hier treffe ich die ersten dunkelroten Wegweiser der Route 5 an,
nun bin ich auf Spur. In Baltenswil fängt's wieder zu regnen
an, also stimmt das doch mit den Regenschauern. Jetzt zeigt sich
der einzige Nachteil am Liegeradfahren: während man beim normalen
Fahrrad vornüber gebeugt den Niederschlag über sich ergehen
lässt und hauptsächlich am Rücken nass wird, trifft
es einem auf dem Lieger natürlich von vorne oben. Die handelsübliche
Regenkleidung ist für den Normalradler zugeschnitten, das heisst,
vorne befindet sich die Reissverschluss-Leiste. Und genau das ist
der Schwachpunkt, denn irgendwann - Goretex hin, Atmungsaktivität
her - suppt der Regen einfach hier durch und man wird so um die
Körpermitte herum unangenehm feucht. Zudem sind die Beine ja
etwas schräg oben und auch von dort rinnt die Nässe dann
gerne Richtung Lenden. Da helfen auch keine Windeln mehr. Langer
Regen, kurzer Sinn: als ich mich Winterthur nähere, schwimme
ich schon im eigenen Saft. Zum guten Glück ist es noch relativ
warm, so dass ich wenigstens nicht friere. Und als ich dann vor
Winterthur unter der Autobahn hindurch ins Tösstal wechsle
und jetzt ein paar Kilometer Naturstrasse vor mir habe, ist auch
das Velo selber in kürzester Zeit eingesaut. Trotzdem, auch
wenn ich jetzt jammere: eine Fahrt im Regen hat auch irgendwie seine
Qualität. Wie generell im Leben ist auch hier nicht alles schwarz
oder weiss, sondern es gibt diverse Zwischentöne. Wenn es regnet
ist die Natur so still. Büsche und Bäume scheinen unter
der Dusche zu stehen. Wenn man sich selber an die äusseren
Umstände gewöhnt hat, gerät man wie in Trance und
schaltet ab und geht auf innere Tauchstation. Das Innenleben gewinnt
an Bedeutung und wenn das Radreisen als solches schon eine meditative
Angelegenheit ist, so sind es Regenfahrten im besonderen. Ich bin
deswegen ganz zufrieden mit der Situation und habe heute schon längst
meine Trott gefunden, lasse die letzten Tage vor meinem inneren
Auge vorüberziehen und pedaliere automatisch vor mich hin.
Hier
im Tösstal ist es heute schön ruhig, das Wasser des Flüsschens
ist hellbraun und geht recht hoch und kaum jemand ist heute unterwegs.
Man kann also auch ruhig seine "Geschäfte" erledigen
und eine Pinkelpause einlegen, ohne minutenlang bei eigentlich passender
Stelle eine Zeitspanne abwarten zu müssen, während der
mal kein Passant oder Skater oder Velofahrer bei der Verrichtung
stören würde. Schliesslich verfügt man ja auch über
eine gewisse Schamhaftigkeit. Bei guter Witterung wäre solcher
"Pipi-fax" jedenfalls schwieriger. Man sieht schon, mit
welch wichtigen Gedanken ich mich grade eben beschäftige!
Zwischendrin
ist es wieder mal ein Weilchen trocken, bevor erneut ein dunkles
Wolkenband seine Schleusen öffnet. Das da ist also jetzt Turbenthal,
hier nehme ich Abschied von der Töss und biege ab in Richtung
Wil. Schöne Landschaft hier, leider sehe ich nicht allzu viel,
denn die Wolken ziehen recht tief und auch sonst ist die Sicht nicht
allzu gut. Bichelsee. Eine verlassen daliegende Badeanstalt. Der
Fotoapparat bleibt im Augenblick wohl besser in der Satteltasche,
es regnet nämlich schon wieder und ich bin pitschnass. Ausserdem
hab ich klamme Finger und wer weiss, zu was für Malheuren das
mit der Kamera führen mag. Kurz vor Sirnach hebt sich die Wolkendecke
etwas und ich radle durch eine eigenartige Landschaft mit kleinen
kegelförmigen Hügeln. Einer dieser Hügel ist ganz
kahl, also begrast und ohne Wäldchen, oben steht ein einsamer
zerzauster Baum.
Ich
habe Hunger. Was tun, jetzt um 10:30? In ein Restaurant und aufwärmen?
Das ist eine Versuchung. Wenn ich mich dann mit meinen nassen Hosen
hinsetze? Nun, das Hinsetzen ist nicht so schlimm, aber das Aufstehen
hinterher und der zurückbleibende nasse Fleck. Während
ich noch am Überlegen bin, kommt ein Imbissstand des Weges
bzw. ich nähere mich einem solchen und dann ist es klar: ein
Döner Kebab muss her! Wie einem auch immer zu unpassender Gelegenheit
die doofsten Witze einfallen! Als ich dem freundlichen Osmanen beim
Zubereiten zuschaue, kommt mir folgende Pointe wieder in den Sinn:
wie heisst "Hubschrauber" auf türkisch? Na? Genau:
"Dröner Hebab". Bitte lachen! Jedenfalls ist das
kleine Mahl der absolute Bringer. Ich stehe unter einem Dach und
lasse es mir schmecken.
Von
Wil sehe ich nicht viel. Ich lasse mich von der vorzüglichen
Ausschilderung an der Innenstadt vorbei leiten, bis ich auf einmal
vor einer steilen Abfahrt durch den Wald stehe. Glitschiger Kiesweg.
Was jetzt? Absteigen und schieben oder vorsichtig hinunter rollen.
Ich entscheide mich für Letzteres und es geht so la la. Unten
empfängt mich ein aufgeweichter Feldweg, der mich nun entlang
der Autobahn und der Thur führt. Jetzt geht die Sauerei erst
richtig los, es wird eine Schlammschlacht ausgetragen. Ist jetzt
eh schon egal. Das geht nun zwölf bis dreizehn Kilometer lang
so dahin. Zuerst recht unattraktiv an der Autobahn entlang - und
irgendwo ist wohl auch ein Schiessstand, vermelden meine Ohren -
und dann eine Weilchen semi-idyllisch neben der Thur. Immerhin bleibt
es jetzt trocken und kurz vor Bischofszell hab ich auch wieder Asphalt
und den Reifen. Langsam wird es heller. Welch ein Unterschied. Irgendwann
quere ich das Flüsschen Sitter auf einer kleinen Brücke
und arbeite mich einen steilen Hügel hinauf, während mir
eine Gruppe Radler mit vollem Karacho entgegen kommt.
Oben
sagt mir ein Blick auf die Landkarte, das ich gut daran tun würde,
hier von der Route Nr. 5 abzuzweigen und (um nach Rohrschach, meinem
Etappenziel zu kommen) gleich von hier aus Arbon anzupeilen. Ade,
Route 5! Jetzt hab ich dich also "er-fahren"
das
nächste Mal suche ich mir bessere Witterung aus und komme nochmals.
Jetzt
bin ich auf der Hauptstrasse und rolle hinunter zum Bodensee. Überall
Obstplantagen - "Mostindien" nennen sie die Gegend hier.
Schnell geht's jetzt. Gleich bin ich unten am See und rolle durch
die Seepromenade des Städtchens Arbon. Hab ich schon erwähnt,
dass es seit etwa einer Stunde trocken ist? Falls nicht, so möchte
ich es hiermit nochmals betonen: es regnet seit ungefähr sechzig
Minuten nicht mehr und auch der Asphalt trocknet langsam ab. In
Arbon wird geheiratet. Ein Brautpaar lässt sich auf der Hafenmole
fotografieren. Hoffentlich ist eure Ehe beständiger als das
heutige Wetter!
Jetzt
geht's am See entlang. Horn. Yachthafen. Fischer und Segler. Ein
Vogelkundler steht im Schilf, das Fernglas in die Ferne gerichtet.
Rohrschach. Wo ist nun das Parkhotel Waldau? Eine ältere Dame
entpuppt sich als ortskundig und beschreibt mir den Weg dorthin
fast richtig und so ist es kein Wunder, wenn ich ein paar Minuten
später müde und durchweicht an der Rezeption meine Ankunft
melde. Wieder mal so ein Hotel mit leerer Minibar im Zimmer. Das
frustriert schon. Irgendwie. Bei billigen Kaschemmen erwartet man
ja von vornherein keinen derartigen Service, aber bei einer bestimmten
Anzahl Sterne rechnet man eben schon mit einer GEFÜLLTEN Minibar.
Bitte liebe Hotelgäste, seid in Zukunft wieder ehrlicher und
bezahlt für das, was ihr der Minibar entnehmt! Auf dass die
Hoteliers ihre Minibars wieder füllen mögen, damit dem
durstigen Neuankömmling bei seiner Ankunft ein kühles
Bier zur Verfügung steht! Ist es denn so schwierig, zu dem
Zimmerpreis auch noch die paar Euro oder Franken für das Getränk
zu entrichten?
Erst
mal mich selber trocken legen, dann ein Nachmittagsschläfchen
und dann das hauseigene Solbad benutzen. Das ist ein Spass! War
eine schöne Tour heute. Trotz Regen und so. Und ich bin auch
nach der langen Fahrt noch relativ fit. Landschaftlich hat es mir
gut gefallen, und bis auf die morastige Naturstrasse zwischen Will
und Bischofszell auch gut zu befahren. Also war es doch keine so
abwegige Entscheidung, morgens bei diesem Regenwetter aufzubrechen.
Wenn man sich von der Witterung etwas unabhängiger macht, erweitert
sich auch das Spektrum der Möglichkeiten.
Abends
kommt noch die Sonne heraus und zaubert mit den schnell ziehenden
Wolken eine eindrucksvolle Stimmung über den See.
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Sonntag,
5.6. 2005; Rohrschach bis Stein am Rhein (70 km)
Als
ich heute morgen noch so im Halbschlaf vor mich hin dämmere,
höre ich die Wellen des Sees gegen das Ufer branden. Ist ja
fast wie im Urlaub, denke ich mir. Falsch: es IST Urlaub! Frühstück
gibt's um halb acht und eine kleine Weile später überlasse
ich meine Margrit wieder ihrem Seminar und mache mich auf den Weg.
Eigentlich
wollte ich mal die "Seerücken-Route" austesten, das
ist eine vom Kanton Thurgau beschilderte Strecke, die parallel zum
Seeufer, aber ein paar Kilometer südlich von diesem, von Arbon
nach Diessenhofen läuft. Irgendwo hab ich aber gelesen, dass
man da teilweise auch auf Feldwegen fährt und nach der gestrigen
Schlammschlacht will ich heute eher auf Asphalt bleiben. Also entscheide
ich mich dafür, dem See entlang Richtung Konstanz zu folgen.
Das ist zwar nichts Neues, aber mir fällt ein, dass ich noch
in dieser Richtung am See entlang gefahren bin. Dann passt's ja
wieder...
Sonntagmorgen
um acht ist alles noch ruhig. Hunde werden Gassi geführt. Ein
paar Jogger und/oder Angler sind zu sehen. Es ist trocken, der Himmel
bewölkt und ab und zu wirft die Sonne ein paar Strahlen auf
uns nieder. Und es ist recht windig. Meine Muskeln sind heute doch
noch etwas müde und so lasse ich es gemütlichst angehen
und gleite sanft dahin.
Arbon,
Horn, Romanshorn...ganz allmählich erwacht der Sonntag zum
Leben und da, wo Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind, wird mir
(wie üblich) hinterher geschrien: "LUEG AMAL!
MAAAAMIIII! S'LUSCHTIG'S VELOOOO! HUUREGEIL! MAAAMI, LUEG AMAAAAAL!!!!"
Naja...da muss man durch...
Kurz
vor elf bin ich in Kreuzlingen. Am Bahnhof gibt's einen Kaffee.
Und ein Vollkorn-Sandwich noch dazu. Nachdem ich mich durch die
Stadt hindurch geschlängelt habe, liegt nun die schöne
Strecke am Untersee entlang vor mir. Zuerst die Ebene, wo sie Gemüse
und Obst anbauen, dann grüsst wieder von weitem die Pappelallee
der Reichenau herüber. Manchmal führt der Weg direkt am
Seeufer entlang und man sieht die Segler dem starken Wind trotzen.
Im dauernden Wechsel zwischen Sonnenschein und dunklen Wolken gibt
das heute ein recht lebendiges Bild ab.
Als
ich mich Stein am Rhein nähere, habe ich einen Totpunkt. Eigentlich
wollte ich noch bis nach Rafz den Rhein runterfahren, aber als vor
in Stein am Rhein am Bahnhof vorbei komme, ist die Versuchung so
gross, in die schon wartende S-Bahn einzusteigen, dass ich ihr,
also der Versuchung, nachgebe und bald darauf zuhause bin.
Manchmal
braucht's wirklich nicht viel, um dem Alltag ein Schnippchen zu
schlagen und etwas andere Luft zu schnuppern. Aber was rede ich
da...das ist ja eh eine Binsenweisheit...
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